09-10-08
Friedel Klee mit Sextant
Die VAGANT an Kap Hoorn
Kurzbericht
Wir meldeten uns zuletzt im Dezember 1977 nach unserer Ankunft in Neuseeland. Die Menschen des kleines Ortes Mangonui nahmen uns so herzlich auf, dass wir blieben. Nach ruhigem Weihnachts- und Neujahrsfest an Bord ließen wir uns die ersten Hurricans der Saison um die Ohren heulen. „Anne“ walzte im Norden Fidji´s ein paar Dörfer platt und sorgte hier für Regen und Starkwind; „Bob“ kam von Neukaledonien, erschlug in Fidji einen Mann, ließ zwischen Fidji und Tonja ein Schiff mit 61 Menschen spurlos verschwinden und blies sich vor unserer Küste aus, nicht ohne eine 8-Meter-Yacht und einen Fischkutter mit dem Verlust von 7 Menschen umzulegen, eine Tuna-Boot auf die Felsen zu setzen und uns in unserer stillen Bucht vor 3 Ankern mächtig durchzurollen.
Wir arbeiteten am Boot und kauften von „Wiltons Garage“ ein Auto: Ford Consul, Baujahr 1958, rundum etwas wackelig und durchgerostet, mit müder, öldurstiger Maschine und ohne Scheibenwischer – aber Bremse, Kupplung und Schaltung funktionierten meistens (wenn auch nicht immer) und Paul Wilton versicherte zögernd: „Er wird´s schon schaffen!“ 400,- Dollar, also etwas über 800 DM mussten wir für die ehrwürdige Exzellenz bezahlen, denn Autos sind hier teuer.
Zur Probe fuhren wir zum Kap Reinga im äußersten Norden des Landes und verteilten reparaturbedürftiges in unserer weiteren Umgebung. Herr Consul hielt sich wacker. Wir lernten, ihn pünktlich alle 60 Landmeilen mit zwei Litern Öl zu tränken. Altöl natürlich, denn wer könnte das sonst bezahlen? Wir gewöhnten uns an den Linksverkehr und die zögernde Fahrweise der Neuseeländer und fuhren nur bergab mal schneller als 40 Meilen (60 km). Der gewaltige Staub unbefestigter Schotterstraßen, der „Metal Roads“, drang durch die unzähligen Ritzen und Rostlecks bis in die letzten Ecken unseres Gepäcks; Schauer durchfeuchteten das Ganze gründlich, Ansaug-Ölfilter und Auspuff flogen gelegentlich daher. Aber wir bekamen Vertrauen. Wir rüsteten den alten Herrn Konsul aus Bordbeständen für Langfahrten aus, übergaben VAGANT der Obhut des Postmeisters Bert und gingen nach mehrstündigem Abschied von unseren vielen neuen Freunden auf die große Reise.
Was wussten wir vorher über dieses Land? Daß es ziemlich genau auf der anderen Seite der Erde liegt, wenig Einwohner und große Städte hat, dafür aber umso mehr Schafe und Rinder. Daß es dort Nacht ist, wenn bei uns die Sonne scheint, Sommer, wenn wir Winter haben; dass es dort „schön“ sein kann – kaum mehr. Das wollten wir jetzt mal sehen.
Wir fuhren nach Süden, nach Auckland, der mit 500.000 Menschen größten Stadt des Landes, wohnten ein paar Tage bei Freunden, lernten die unglaublich weitflächige Stadt ein wenig kennen, ließen uns ein kleines Zelt leihen und fuhren bald weiter, denn große Städte ziehen uns nicht besonders an, und wenn man in diesem Land eine Stadt gesehen hat, kennt man sie alle, sagen die Neuseeländer selbst.
Wir fuhren noch einmal zurück nach Norden und erlebten in der Bay of Islands Neuseelands Nationalfeiertag, den „Waitangi Day“, Jahrestag der Unterzeichnung des Friedensvertrages, der am 6.2.1840 die bis heute gültige Grundlage für das Zusammenleben der Maoris mit den Weißen, den „Pakeha“ schuf. Prächtige Militärparade in britischer Tradition, Rede des Premierministers Muldeen, donnernder Salut, „God save the Queen“, urig farbenprächtige Kriegstänze und melodiöse Gesänge der Maoris.
Weiter nach Süden. Wir fuhren am weiten Taupo-See vorbei durch große Wälder, besuchten die Kuranlagen, blubbernde Schwefelquellen und fauchende Geysire Rotoruas, sahen Thermalkraftwerke, kamen ganz im Süden der Nordinsel in die Hauptstadt Wellington und buchten die Überfahrt zur Südinsel.
Unsere Fähre fuhr als erste nicht mehr. Die Eisenbahnverwaltung hatte gewagt, eine überflüssige sonntägliche Busverbindung zwischen einem Vorort und Wellington zu streichen – für die militanten Gewerkschaften Anlaß genug, in der ganzen Gegend eine Woche lang Verkehrschaos herrschen zu lassen und die Südseeinsel von der Nordseeinsel für diese Zeit unerreichbar zu trennen.
Im Fährhafen stauten sich hunderte von Autos, Bussen, Wohnwagen, Lastwagen und Kühlwagen mit Exportfleisch im Wert von mehreren Millionen Dollars blieben wenige Meter vor den Kühlhäusern stehen. Hunderte von Menschen richteten sich ein, in ihren Wagen und Zelten an Ort und Stelle zu warten. Die Heilsarmee verteilte kostenlos „Meat-Pie“ (warmer Kuchen mit Fleischfüllung) und Tee.
Wir nutzten die Zeit zu einem Ausflug zum Mount Egmont, dem Fujiyama-ähnlichen ruhenden Vulkan im Westen der Insel. Wir fuhren eine steil gewundene Stichstraße hinauf bis dicht unter die Schneekappe und staunten über die mustergültige Einrichtung und Organisation der Nationalparks.
Als Radionachrichten das Ende des Streiks ahnen ließen, fuhren wir sofort zurück, mogelten uns nachts in eine Lücke weit vorn in der langen Autoschlange und gelangten schon am nächsten Tag hinübe nach Picton dem Fährhafen im herrlichen Queen Charlotte Sound im Nordosten der Südinsel. Auch dort wartete ein großes Heerlager auf die Überfahrt, aber schon wenige Kilometer weiter fühlten wir die Leere dieses weiten Landes. Ganz Neuseeland ist etwa 10% größer als die Bundesrepublik, von seinen 3 Millionen Einwohnern aber leben nur 500.000 auf der Südinsel, die nur etwas kleiner ist als die Bundesrepublik ohne Bayern oder etwa doppelt so groß wie Österreich. Davon leben etwa 300.000 in Christchurch, vielleicht 150.000 in den größeren Städten Dunedin, Invercargill, Bluff, Greymouth, Nelson und in ein paar Kleinstädten – der riesige Rest ist fast menschenleer.
Wir fuhren die Küste entlang nach Süden, schliefen nachts im Zelt oder Wagen an kilometerlangen einsamen Stränden und besuchten die ruhige Großstadt Christchurch. Dann verließen wir das Meer und fuhren in das Innere, über endlose gerade Straßen durch die Canterburry-Privinz nach Süden, vorbei an riesigen Schaffarmen. Bald kamen wir in die Berge. Wir fuhren über steile Pässe, an Plätzen vorbei wie „Dead Man´s Creek“ und „Whisky-Cutting“, an den vielen kilometerlangen Bergseen Te Kapo und Pukaki entlang, hinauf zum gewaltigen Mount Cook. Nach einer sehr kühlen Nacht im Auto flogen wir mit einem kleinen Flugzeug über das Zentralmassiv der Southern Alps. Wir umkreisten den 3764 Meter hohen Mount Cook und seinen Nachbarn, Mount Tasman, flogen über den langen Tasman-Gletscher hinüber zur Westküste und dort über die nicht minder großartigen Franz-Josef- und Fox-Gletscher. In tiefen abgeschlossenen Tälern sahen wir geheimnisvolle Seen, um die Gipfel wehte Schnee – keine Zeichen irgendeiner Bewohnung oder menschlichen Tätigkeit.
Tief beeindruckt fuhren wir auf der steilen Straße zurück, denn weiter geht es hier nicht. Ausgerechnet da oben begannen die Bremsen unseres Wagens ganz zu versagen. Erst nach drei- oder viermaligem Pumpen zeigte sie etwas Wirkung. Wir richteten die Fahrweise danach ein, gelangten heil hinunter und fuhren weiter durchs Land in die braun-goldene, dürre und steile Hügellandschaft Otagos. Hier weiden hunderttausende der über 60 Millionen Schafe Neuseelands. Die ersten Siedler in dieser großartigen Einsamkeit hofften, durch weniger mühsame Arbeit schnell reich zu werden. Sie suchten nach Gold. Überall in den unzähligen, in dieser Jahreszeit meist trockenen Flusstäler sahen wir die Spuren ihrer Wühlarbeit; die Grabsteine vergessener Friedhöfe ließen hartes, wildes Leben ahnen: umgekommen durch Erdrutsch, durch Sturz des Pferdes, ertrunken beim Überqueren eines Flusses „getötet“. Viele starben sehr jung, besonders Frauen und Kinder; einige Wenige wurden steinalt.
Wir fuhren den wilden Clutha-River entlang durch Goldgräberstädte wie Cromwell, Clyde und Alexandra, sahen gewaltige Kraftwerke, die mit dem geschickt verbundenen Wasser der unzähligen Seen arbeiteten. Wir besuchten das historische Arrowton und gelangten nach Queenstown, das in seiner Lage am endlos langen, von Hochgebirge eingerahmten Wakatipu-See an Schweizer Städte erinnerte. Wir fuhren weiter in den tiefen Südwesten zum Manapuri-See auf 43º30´S. Weiter ging´s nicht, in das wilde unerschlossene und zum Teil noch nicht einmal vermessene Fjordland führen keine Straßen. In dieser wilden Einsamkeit besuchten wir das größte Kraftwerk Neuseelands, 180 Meter tief in den blanken Fels gebaut. Der erzeugte Strom wird über Leitungen quer durch unerschlossene Wildnis zu den großen Aluminiumhütten in Invercargill und Bluff an der Südküste geleitet.
Durch Hochgebirge und wieder zahllosen Seen entlang fuhren wir weiter nach Norden zum großartigen Milford-Sound an der Westküste – und wieder zurück, denn auch dort ist die Welt zu Ende. Im weiten Bogen zurück ins Land, über Queenstown, mitten durch wildeste Goldgräbergegend fuhren wir nach Norden an den großen Seen Hawea und Wanaka entlang durch den großartigen Südteil der Southern Alps über den Haast-Paß zur Westküste. Dort erlebten wir die „Roaring Forties“ der Tasman-See auf der einen Seite und drangen auf der anderen bis zum Eis und Schnee der Fox- und Franz-Josef-Gletscher (Westseite des Mt. Cook-Massivs) vor. Am Rand der Gebirge schnorrten wir Altöl die Hubschrauberstationen und sprachen mit Jägern und Piloten, die in den undurchdringlichen Wäldern aus der Luft mit automatischen Gewehren kommerziell Rotwild jagen, das dort in schädlichen übergroßen Herden lebt; in Hokitika besuchten wir eine der beiden Schleifereien, die „Greenstone“ verarbeiten, neuseeländisches Jade, aus der Maoris jahrhundertlang kunstvoll Werkzeuge, Schmuck und Waffen fertigten. Nördlich der kleinen Hafenstadt Greymouth drangen wir auf abenteuerlichen Wegen weit ins leere Bergland vor zu den verlassenen Gräberstädten Notown und Waiuta, nahem dem fast verlassenen Charlestown besuchten wir die letzte noch arbeitende kleine Goldmine und im Freilichtmuseum „Shantytown“ sahen wir die bunte Geschichte dieser wilden Gegend.
Weiter durch Hügel- und Bergland, durch weite Wälder, an kristallklaren Seen und Flüssen vorbei gelangten wir wieder nach Norden und fuhren durch das fruchtbare Obstland um Nelson zurück nach Picton. Der Fährbetrieb wurde gerade mal nicht bestreikt, und so rollten wir bald wieder auf weiten interessanten Umwegen über die Nordinsel zurück nach Mangonui.
Die vielen Namen mögen dem nichts sagen, der das Land nicht kennt. Für uns aber sind sie das Bild des „schönsten Endes der Welt“, eines Landes, in dem und mit dessen Menschen wir leben könnten.
Nebenbei war diese Landpartie nicht einmal zu teuer. Einschließlich einiger Besorgungsreisen fuhren wir in über 10 Wochen 7729 Landmeilen, also etwa 11600 km durch dieses herrliche Land, schliefen im Auto oder im Zelt in völliger Einsamkeit an Seen und Flüssen und in Wäldern, kauften unsere Lebensmittel in Läden und kochten Essen auf unserem Primuskocher. Für den Wagen bezahlten wir 400 $, etwa 25$ Reparaturen und nur 10 Liter Benzin je 100 km, Altöl schnorrten wir an Tankstellen und kleinen Flugplätzen (das war das Beste!) und am Schluß kaufte Paul Wilton den rüstigen Herrn Consul noch für 100 $ zurück.
Die Herbststürme im April ermutigten nicht zum Weitersegeln. Wieder gingen Schiffe und Yachten verloren, das Seerennen Whangarei-Neumea wurde kräftig zerblasen, in unserer stillen Bucht fegte und die Gischt um die Ohren und im Hafen von Whangarei trafen wir die Crew der deutschen Yacht „Ghos“, die durch eine „Freak Wave“ auf den Kopf gestellt wurde und den Mast dabei verlor. Wir malten unser Unterwasserschiff und nach letzten sorgfältigen Vorbereitungen verabschiedete sich fast ganz Mangonui einzeln und mit einer gewaltigen Party im Pub gemeinsam von uns. Weit über den geheiligten 10-Uhr-Schuß hinaus sangen sie Maori-Lieder und Pakeha-Songs für uns. Tränen flossen, Küsse, Umarmungen – draußen nieselte trauriger Abschiedsregen. Früh am nächsten Morgen rupften wir unsere beiden schlammigen, barnacle-verkrusteten Ankergeschirre aus dem Grund, unsere Freunde standen am Ufer und winkten, Abschied – für immer?
Wir segelten zunächst die Küste entlang nach Südosten in die Bay of Island, denn der Zoll verlangte Ausklarierung in Opua. Pünktlich zu dieser trockenen Zeremonie kam noch ein herzbewegendes Grußtelegramm unserer Freunde an; dann liefen wir aus.
Noch nicht ganz, denn das Wetter wurde extrem schlecht.Wir verkrochen uns für ein paar Tage zwischen den vielen Inseln und steckten erst am 15. Mai unsere Nase endgültig nach draußen. Kälte, Nieselregen, Nordwest, genau gegenan.
Wir gerieten in eine Schlechtwetterperiode, wie wir sie seit der Biskaya nicht mehr erlebten. Nach fast 1000 sm gegen ganz untypischen, harten Nordwest standen wir so weit östlich, dass wir unsere Pläne änderten. Wir werden später mehr darüber berichten. Heute, am 29.5., erreichten wir nach 1233 sm Vila auf Efate, die Hauptstadt der Neuen Hebriden, Eine Anschrift werden wir in nächster Zeit auch haben.
Tschüß
Ursel + Friedel